Paola Viganò

Preisträgerin
Was tun gegen die Ungleichheiten einer Stadtentwicklung, die im Zuge der Globalisierung jeden Zentimeter Stadt vermarktet und wichtige Infrastrukturen nur noch dem Teil der Bevölkerung zur Verfügung stellt, der in der Innenstadt wohnt? Was sind, umgekehrt gefragt, die entscheidenden räumlichen Voraussetzungen für eine „Stadt für alle“ und wie könnten sie realisiert werden?In der europäischen Debatte über drängende Fragen heutiger Stadtentwicklung ist Paola Viganò eine der entscheidenden Stimmen – Fragen, auf die sie in ihren theoretischen Schriften, aber auch als praktisch arbeitende Planerin Antworten gibt.
Die aus Mailand stammende Stadtplanerin und Architektin vermittelt ihr Wissen heute als Theoretikerin und Lehrende an den Universitäten von Lausanne und Venedig. Ihr Engagement gilt einem offenen und gerechteren Stadtmodell. Sie plädiert für eine Ablösung von der Zentrumsfixierung der Leitbilder der letzten Jahrzehnte und für eine ökologische Re-Qualifizierung urbaner Territorien. Die räumliche Aufwertung und Verknüpfung von zusammenhängenden Grünzonen und Wasserläufen sind zentrale Ausgangspunkte ihrer Arbeit an der Stadt. Sie stehen für ein neues gesamtstädtisches Raumsystem, das in den „leeren Räumen“ der Peripherie und der Randgebiete den entscheidenden Ausgangspunkt für klimagerechte Veränderung sieht. Paola Viganò hat sich als Stadtplanerin an den großen internationalen Stadtentwicklungs- und Restrukturierungswettbewerben (Grand Paris, Bruxelles 2040, Antwerpen, Moskau und Genf) beteiligt und hat diese – bis 2014 zusammen mit Bernardo Secchi – mit ihren Ideen entscheidend geprägt. Sie hat aber auch als Architektin eine Reihe von herausragenden öffentlichen Bauten, Plätzen und Umnutzungen kultureller Institutionen entworfen, so zum Beispiel den zusammen mit Bernardo Secchi realisierten Theaterplein in Antwerpen. Als Theoretikerin ist sie mit ihren Aufsätzen und Schriften an der Diskussion zentraler Begriffe der europäischen Stadtdebatte der letzten 25 Jahre beteiligt gewesen – etwa bei der kritischen Auseinandersetzung mit der ‚Città diffusa‘. Das in den letzten zehn Jahren wichtige Konzept einer ‚Porösen Stadt‘ wurde von ihr entscheidend mitgeprägt, und erst jüngst hat sie mit der Publikation über „The Horizontal Metropolis“ einen weiteren Anstoß für die Qualifizierung des öffentlichen Raums in einer transformierten Stadtlandschaft gegeben. Viele ihrer Initiativen sind im Austausch mit anderen Stadtforschern, Architekten und Wissenschaftlern entstanden, vornehmlich aus Italien, Frankreich, Belgien und Österreich. Aus hiesiger Perspektive könnte man ihre Arbeit als eine ökologische Weiterführung der Diskussion um die Zwischenstadt deuten, die heute im Zuge der Wohnungsnot und der Stadterweiterungsfrage eine enorme Aktualität gewonnen hat.
Zu sehen waren ihre Forschungen zur europäischen Stadt, die sie zusammen mit den Studierenden der EPFL Lausanne umgesetzt hat, zuletzt auf der Architekturbiennale 2021. Der Kurator Hashim Sarkis hat ihrem Werk einen der großen Ausstellungsräume des italienischen Pavillons in den Giardini gewidmet.
Kaye Geipel